Entscheidungen: Was sie aus psychologischer Sicht bedeuten, warum sie manchen besonders schwer fallen und wie sie gelingen können

Alle | 15. März 2025

Definition und Ablauf von Entscheidungen

Bei einer Entscheidung handelt es sich um einen Prozess, an dessen Ende als Ergebnis eine Festlegung steht. Die Festlegung erfolgt zugunsten einer bestimmten Option und zulasten anderer Optionen. Lange wurden Entscheidungen als rein kognitive, bewusste Prozesse beschrieben. Diese veraltete Vorstellung, gute Entscheidungen fänden ausschließlich im Bewusstsein statt, hat sich als falsch erwiesen. Bei scheinbar bewussten Entscheidungsprozessen spielen viele unbewusste Dynamiken eine Rolle. Entscheidungen bestehen demnach sowohl aus bewussten als auch auch aus unbewussten Anteilen. (Bewusst sind diejenigen geistigen Tätigkeiten, die jemand bei sich wahrnimmt und mitteilen kann). Bewusste Analysen innerhalb der Entscheidungsprozesse verlaufen in vier typischen Schritten:


1. Ausgangslage (Wo stehe ich, worum geht es?)
2. Ziele (Wohin möchte ich?)
3. Optionen (Wie erreiche ich was ich will?)
4. Entschluss


Die zwei Ebenen, auf denen Entscheidungen getroffen werden


1. Der Verstand („Kopf“, bewusstes Denken, Bewusstsein)

Vorteile des bewussten Denkens sind seine Präzision, Detailliertheit, Differenzierheit. Bewusstes Denken kann im Gegensatz zum Fühlen auch auf neue Ereignisse reagieren.
Demgegenüber stehen verschiedene Nachteile: Wirklich präzise bewusste Analysen nehmen viel Zeit in Anspruch und bedürfen viel Anstrengung, Präzision, mentaler Energie. Zudem sind bewusste Denkprozesse recht fehleranfällig (unter anderem treten bei Entscheidungen oft kognitive Verzerrungen auf).

2. Das emotionale Erfahrungsgedächtnis (Intuition, Fühlen, unbewusste Vorgänge, Bauchgefühl) 

Das emotionale Erfahrungsgedächtnis hat alles gelernte Wissen gespeichert, das dem Organismus widerfahren ist. Es handelt sich damit um einen reichen Schatz individueller Lebenserfahrungen und arbeitet sehr schnell („ich hatte sofort ein ungutes Gefühl“).
Nachteile liegen darin, dass das emotionale Erfahrungsgedächntis diffus und detailarm arbeitet („irgendwie ungutes Gefühl“). Es kann falsch liegen, unter anderem, da es auf vergangene Erfahrungen beschränkt ist.

Die Signale des emotionalen Erfahrungsgedächtnisses können in Form von Gefühlen oder Körperempfindungen (sogenannten somatischen Markern) wahrgenommen werden. Die Wahrnehmung somatischer Marker kann gezielt mit Körperwahrnehmungsübungen gefördert werden. Die Botschaft lautet Stop or Go. Aufgrund von Erfahrungen wird gut oder schlecht beurteilt, was sich in unangenehmen oder angenehmen Empfindungen zeigt.

Beispiele
„angenehmes Gefühl im Bauch“
„wunderbares Freiheitsgefühl“
„auf einmal wurde es hell in meinem Kopf“
„auf meinen Bauch kann ich mich verlassen“

Das Geheimnis kluger Entscheidungen liegt darin, bewusst Verstand und Emotionen einzubeziehen. Gefühle können als Wegweiser für Entschiedungen dienen, durch Nachdenken ergründet und geprüft werden.


Wie Entscheidungen gelingen

Bei Entscheidungsprozessen stellt sich Wohlbefinden ein, wenn Fühlen (Bewertung aus dem emotionalen Erfahrungsgedächtnis) und Denken (Analyse des Verstandes) zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen. Die Brücke zwischen Denken und Fühlen kann mit einer bewussten Selbstreflektion gebaut werden.
Wenn sich Widersprüche zwischen beiden Polen zeigen (Denken gegen Fühlen), gibt es Möglichkeiten, sie in Einklang zu bringen. Bei dieser Vermittlung zwischen Kopf und Bauch ist auch hilfreich sich grundlegende Werte bewusst zu machen: Was macht mich aus? An welchen Werten möchte ich mich orientieren?  Was ist mir wirklich wichtig, wer möchte ich sein, was für ein Leben möchte ich gelebt haben?


Warum sich manche Menschen schwer tun mit Entscheidungen

Bedeutsame biographische Erfahrungen, vor allem in frühen Bindungen und der (teiweise aus diesen Erfahrungen entwickelte) Persönlichkeitsstil eines Menschen prägen seine Muster des Denkens, des Fühlens und des Handelns und die Verfügbarkeit psychischer Funktionen (Strukturniveau der Psyche).
Ein weiterer Aspekt, der diese Muster beeinflusst, ist das genetisch bedingte Temperament. Manche Menschen kommen ängstlicher zu Welt, während andere gleichmütiger geboren werden. Außerdem beeinflussen unbewusste innere Konflikte Entschiedungsprozesse.

Je nach Persönlichkeitsstruktur, biographisch prägenden Erfahrungen, Temperament und unbewussten Konfliktdynamiken ist ein Mensch sich seiner selbst dann mehr oder weniger sicher. Er hat mehr oder weniger ein Gefühl für sich, seine Werte, seine Prioritäten und mehr oder weniger Zugang zu seinen Bedürfnissen.

Neben den genannten Aspekten beeinflusst der aktuelle mental-emotionale Zustand die Entscheidungsfindung.


Beispiele für innere Faktoren, die die Entscheidungsfähigkeit beeinflussen

Verfügbarkeit psychischer Funktionen (Strukturebene der Psyche)

- Selbststeuerung und Selbstdisziplin: Sich selbst regulieren können, über ein gesundes Maß an Selbstkontrolle, Selbstdisziplin verfügen (wer bewusst entscheiden möchte braucht z.B. Zielgerichtetheit, Aufmerksamkeitslenkung und ein gewisses Maß an Disziplin).

- Fehlertoleranz, Fehlerfreundlichkeit: Wie gehe ich grundsätzlich mit meinen Fehlern oder potentiellen Fehlern um? Bin ich fehlertolerant, fehlerfreundlich mit mir selbst oder versuche ich Fehler stark zu vermeiden? Letzteres macht es schwerer Entscheidungen zu treffen.

- Emotionsregulation, insbesondere Umgang mit den Emotionen Unsicherheit und Angst: Habe ich einen eher gelassenen Umgang damit und bin vielleicht gar nicht getrieben von Ängsten oder bin ich leicht verunsichert? Letzteres kann Entscheidungen erschweren.

- Selbstwahrnehmung, Emotionswahrnehmung, im Kontext von Entscheidungen die Fähigkeit, neben rationale Analysen auch das emotionale Erfahrungsgedächtnis ("Intuition") einzubringen: bewirkt ein Wohlgefühl mit den eigenen Entscheidungen, "kluge" Entscheidungen.

Unbewusste Konflikte

Mit Konflikten sind in diesem Zusammenhang keine alltäglichen, bewussten Konflikte gemeint, sondern unbewusste intrapsychische Konflikte, die Spannungen zwischen zwei widerstrebenden inneren Impulsen erzeugen. Solche Spannungen können unter anderem auch Entscheidungsprozesse negativ beeinflussen. 

Beispiel Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt: Spannung zwischen dem Bedürfnis nach Beziehung einerseits und Unabhängigkeit andererseits  

Im Falle dieses Konfliktes kann das bedeuten, dass jemand sich in eine Abhängigkeit erzeugende Beziehung begibt und die Bedürfnisse hinter denen des Partners grundsätzlich hinten anstellt (sog. passiver Modus) oder sein Bedürfnis nach Bindung unterdrückt und sich in Beziehungen schnell eingeengt fühlt (sog. aktiver Modus). Eine Entscheidung zugunsten einer Partnerschaft kann in letzterem Fall sehr schwer fallen.

Aktueller mental-emotionaler Zustand

Wenn ausreichend mentale Energie zur Verfügung steht, fallen Entscheidungen leichter. Je weniger mentale Energie vorhanden ist, desto anstrengender und schwieriger werden Entschiedungsprozesse. Beispiele für solche belastenden Zusatände sind Lebenskrisen, Depressionen oder andere psychische Erkrankungen oder eine chronische Stressbelastung. Sowohl präzise rationale Analysen mit Abwägen verschiedener Optionen als auch eine Verbindung zum emotionalen Erfahrungsgedächtnis fallen dann schwer.

Fehler, die entscheidungen negativ beeinflussen können

Status Quo - Falle

Die ungünstigste Entscheidung ist, sich gar nicht zu entscheiden (Status quo - Falle). Sich nicht zu entscheiden kann sinnvoll sein, wenn nur unbefriedigende Alternativen oder sehr unsichere Rahmenbedingungen vorliegen. Oft handelt es sich jedoch um ein Aufschieben entgegen jeder Vernunft. Langfristig sind die unterlassenden Handlungen diejenigen, unter denen Menschen leiden, denn die Gelegenheit kann oft nicht zurückgeholt werden. Der Status quo beeinträchtigt langfristige Zufriedenheit und Wohlbefinden.


Impulsive Entscheidungen
Das emotionale Gedächtnis ist nützlich als schnelle Orientierungshilfe, beruht auf Erfahrungen, kann Ähnlichkeiten identifizieren, dadurch aber auch ungünstig generalisieren. Zum Beispiel nach dem Motto „alle Männer sind ****“. Der Verstand, das bewusste Denken, ist langsamer und aufwendiger, kann aber auch auf neue Umstände reagieren.

Die Intuition ignorieren 
Als alleinige Quelle von Entscheidungen ist das emotionale Erfahrungsgedächtnis zwar nicht geeignet. Diesen unbewussten Hinweisgeber zu ignorieren ist gleichzeitig ein Fehler (s.o.).

Zu große Angst vor Fehlern
Manche Menschen tun sich sehr schwer mit Entscheidungen, weil sie aufgrund früher Erfahrungen oder persönlichkeitsbedingt starke Ängste haben, sich falsch zu entscheiden.
Es braucht eine gewisse Fehlerfreundlichkeit, damit umzugehen, möglicherweise auch einmal falsch zu entscheiden.


Schwarz-Weiß-Denken
Entscheidungen werden oft als Entweder-Oder-Entscheidungen betrachtet. Es gibt aber fast immer mehr als 2 Optionen. Häufig sind auch mehrere Optionen richtige und gute Optionen.


Praktische Anregungen: So gelingen entscheidungen leichter und Authentischer

- Übe deine Körpersignale (positive wie negative) bewusst wahrzunehmen, im Alltag, in Entscheidungsprozessen und unterstützend mit Körperwahrnehmungsübungen wie Body Scan, Yoga, Meditation.

- Nimm dir Zeit für Entscheidungen, bitte im Zweifel um Aufschub, entscheide nicht impulsiv nur aus dem Bauch heraus, beziehe eine bewusste Reflexion mit ein.

- Nimm dir nicht ZU viel Zeit für Entscheidungen. Angst vor einer falschen Entscheidung kann in Grübelprozessen und Überrationalisieren münden, Angst ist kein geeigneter Ratgeber. Setze dir gegebenenfalls Fristen. Triff eine Entscheidung, gehe dann gleich in die Umsetzung und stehe dazu. Vermeide es dich NICHT zu entscheiden.

- Sofern du starke Angst vor einer Fehlentscheidung hast, übe zu akzeptieren, dass auch Fehlentscheidungen zum Leben gehören. Kultiviere Fehlerfreundlichkeit. Korrigiere gegebenenfalls deine Erwartungen an eine bevorstehende Entscheidung.

- Eine für dich richtige Entscheidung muss nicht dazu führen, dass sich ein angenehmer Zustand einstellt. Eine authentische, kluge Entscheidung kann auch Durchbeißen bedeuten (Ausbildung, Projekt, Studium).

- Verschriftliche deine Werte und mache sie zur langfristigen Grundlage deiner Entscheidungen.

- Frage bei jeder wichtigen Entscheidung nach den kurzfristigen Effekten (angenehmes Gefühl, mehr Freizeit, Genuss, Anstrengung, Aufraffen, Frustration, Langeweile) und den langfristigen Folgen (Zufriedenheit über Jobs nach abgeschlossenem Studium vs. Abbruch, wie beurteile ich XY in 10 Jahren, im Alter…).

- Statt Entweder-oder zu denken, entwickle weitere Optionen und hole Informationen ein. Gibt es Möglichkeiten für ein Sowohl-als auch? Oder weitere Optionen?


                                               

Quellen und literaturempfehlung

Maja Storch, Das Geheimnis kluger Entscheidungen: Von Bauchgefühl und Körpersignalen.

Die Autorin ist Psychoanalytikerin. Sie beschreibt sehr fundiert, gleichzeitig verständlich und mit anschaulichen Beispielen die Psychologie kluger Entscheidungen.

Dr. Sabine Anna Saalfeld, Freud hätte anders entschieden. Eine Psychoanalyse der Entscheidungen.

Eine beeindruckende Zusammenstellung entscheidungspsychologischer Theorien. Insbesondere verschiedene psychoanalytische Konzepte werden ausführlich beschrieben.

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