Grübeln, Sich-Sorgen, Overthinking: Definitionen, Ursachen und Auswirkungen
Unter Grübeln wird ein Nachdenken über Probleme oder Erfahrungen verstanden, bei dem sich Denkinhalte in unproduktiver Weise wiederholen. Bezogen auf die Allgemeinbevölkerung sind Frauen häufiger betroffen als Männer, im Rahmen von psychischen Erkrankungen tritt Grübeln bei beiden Geschlechtern jedoch gleich häufig auf.
Anhaltendes Grübeln geht nicht nur mit schlechter Stimmung einher, sondern trägt auch zur Entstehung, Verschlechterung und Aufrechterhaltung verschiedener psychischer Störungen bei (u.a. Depression, soziale Phobie, posttraumatische Belastungsstörung, Esstörungen). Als störungsübergreifendes Phänomen rückt Grübeln seit einigen Jahren vermehrt in den Fokus therapeutischer Bemühungen.
Grübeln wird als aufrechterhaltender Faktor sozialer Ängste verstanden. Typisch ist dabei, sich bestimmte in einer sozialen Situation erlebte Gefühle wie Angst und Anspannung ins Gedächtnis zu rufen und als Hinweis auf eigenes Versagen zu werten.
Vermehrtes Denken vor dem Schlafen ist mit geringerer Schlafqualität verbunden. Andersherum grübeln Menschen mit Schlafstörungen mehr als gesunde Kontrollpersonen. Abendliches Grübeln ist mit längerer Einschlafdauer, geringerer Schlafeffizienz und geringerer Schlafdauer assoziiert.
Problematisch sind bei vermehrtem Grübeln auch körperliche Auswirkungen. So kann es beispielsweise mit einem Anstieg des Stresshormons Cortisol, des Blutdrucks und der Herzfrequenz einhergehen.
Mögliche Ursachen und funktionen
Ursächlich werden für problematisches Grübeln verschiedene Aspekte vermutet. In Untersuchungen ließ sich beispielsweise wiederholt feststellen, dass ein überbehütend-überkontrollierender Erziehungsstil mit einer erhöhten Grübelneigung assoziiert ist. Wahrscheinlicher ist problematisches Grübeln zudem bei schwer zu erreichenden Zielen (perfektionistische, unklar definierte Ziele oder bei Fragen die per se nicht zu beantworten sind).
Möglicherweise werden mit übermäßigem Grübeln unbewusst unangenehme Affekte wie Ärger, Wut und Traurigkeit oder eine bewusste Auseinandersetzung mit schmerzlichen Denkinhalten (Misserfolge, Demütigungen) vermieden.
Wer unter einem geringen Selbstwertgefühl leidet, wird sich vermehrt um seine Wirkung auf andere sorgen und wahrscheinlicher übermäßig darüber nachdenken. Selbstunsicherheit, die aus (frühen) Beziehungserfahrungen resultiert, kann ebenso problematisches Grübeln fördern. Das Grübeln kann dann zur Reaktivierung von Schuld- oder Schamgefühlen führen, die wiederum ungünstige Folgen haben (z.B. soziale Ängste / Vermeidungsverhalten aufrechterhalten oder verstärken).
Oft ist mit Grübeln der Affekt der Angst assoziiert: Angst Fehler zu machen, Angst abgelehnt zu werden, Angst ausgeschlossen zu werden. Grübeln scheint dann im Sinne einer gedanklichen Kontrolle vermeintlich Sicherheit zu geben, zum Beispiel aus der Annahme heraus, besser vorbereitet zu sein. Zudem bewahrt das Grübeln vor den mit Erlebnissen verbundenen Affekten (z.B. Scham).
Als Persönlichkeitsstil ist der Perfektionismus mit problematischem Grübeln verknüpft. Betroffene vermeiden ängstlich, Fehler zu machen, um vor anderen makellos und fehlerfrei dazustehen. Typisch sind Schwarz-Weiß-Bewertungsschemata, anhaltende innere Anspannung und Rigidität im Denken. Mit einem überhöhten Anspruch an eigene Fehlerlosigkeit erscheinen Ziele schwer erreichbar. Damit wird ein Verzetteln wahrscheinlicher, das nicht selten in Prokrastination mündet.
miteinander verwandt: Grübeln und Sich-Sorgen
Grübeln und Sich-Sorgen sind beide durch wiederholende Gedankenschleifen mit hohem Selbstbezug gekennzeichnet. Während Sorgen sich inhaltlich auf Ereignisse in der Zukunft beziehen ("Was wäre wenn?") geht es beim Grübeln vor allem um vergangene Ereignisse.
Overthinking
Beim Overthinking handelt es sich um einen anderen Ausdruck für übermäßiges Nachdenken und Grübeln. Dabei kann es um Situationen, Erleben, Personen, Vergangenes oder Zukünftiges gehen.
Gesundes Nachdenken von problematischem Grübeln Differenzieren
Gesundes Nachdenken und Reflektieren ist flexibel, hat einen klaren Zielbezug und ist wenig wertend. Problematisches Grübeln hingegen ist gekennzeichnet von kritischen Gedanken, Selbstabwertung, abstrakter Auseinandersetzung. Beim gesunden Reflektieren sind eher konkrete Wie - Fragen ("Wie erreiche ich dieses Ziel?") und beim Grübeln eher abstrakte Warum-Fragen ("Warum passieren mir diese Dinge?") zu beobachten.
Mit der 2-Minuten-Regel kann eine Differenzierung gelingen:
Wenn du unsicher bist, ob du in problematischer Weise grübelst oder konstruktiv nachdenkst und reflektierst, fahre mit deinem Denken unverändert zwei Minuten fort. Anschließend stelle dir folgende Fragen:
1 Bin ich mit einer Problemlösung vorangekommen?
2 Habe ich etwas verstanden, das ich vorher nicht verstanden habe?
3 Bin ich in der Zeit weniger selbstkritisch geworden?
Wenn du nicht eine der Fragen eindeutig mit Ja beantworten kannst, handelt es sich wahrscheinlich um Grübeln.
Was gegen problematisches Grübeln helfen kann
Zwei anerkannte therapeutische Ansätze, dem Grübeln gezielt entgegenzuwirken, sind die metakognitive Therapie und die ruminationsfokussierte kognitive Verhaltenstherapie. Bei den Methoden steht weniger der Inhalt des Denkens im Vordergrund, sondern die Art und Weise, WIE über Themen nachgedacht wird. Insbesondere wurde Grübeln im Kontext von Depressionen erforscht. Es wird jedoch angenommen, dass die Techniken auch bei problematischem Grübeln in anderen Kontexten hilfreich sind. Einzelne Bausteine der metakognitiven Therapie werden im Folgenden vorgestellt.
Bewusstheit und Verständnis fördern: vergangene Grübelepisoden detailliert analysieren
Zunächst können ein bis zwei vergangene Grübelepisoden so detailreich wie möglich in Erinnerung gerufen und verschriftlicht werden. Dabei sollten auch die Auslöser intensiv beleuchtet werden.
- Situativen Kontext beschreiben (Wann, wo, Aktivitäten vor dem Grübeln, allein? in Gesellschaft? Wie sieht die typische "Grübelsituation aus?")
- Auslöser identifizieren (Bewertungen, Gefühle, Erinnerungen, erste Gedanken?)
- Grübeln detailliert beschreiben (Inhalte, Dauer, Art des Grübelns: Warum-Fragen? Wie-Fragen?, Wie habe ich gedacht: selbstkritisch-unzufrieden oder sachlich-distanziert? Bei einem Thema geblieben? War mir währenddessen klar, dass ich gegrübelt habe? Wie lange hat es gedauert, bis ich bemerkt habe, dass ich gegrübelt habe?)
- Konsequenzen beschreiben (positiv, negativ, kurzfristig, langfristig, für sich selbst, für andere, Effekte, auf die Stimmung? Zu einer Lösung oder Einsicht gekommen? Wie zuversichtlich habe ich mich während des Grübelns gefühlt, dass Probleme gelöst werden?)
- Negative Annahmen über das Grübeln (Während der Grübelsituation über das Grübeln nachgedacht? Wenn ja, was? Was hat mich am Grübeln gestört? Was hat mich am Grübeln gesorgt? Wie viel Kontrolle habe ich über das Grübeln auf einer Skala von 0 bis 100%?)
- Positive Annahmen über das Grübeln (Was hat mich weiter grübeln lassen? Was habe ich mir vom Grübeln versprochen? Könnte es hilfreich sein? Schützt mich das Grübeln in irgendeiner Form? Was könnte passieren, wenn ich mit dem Grübeln aufhöre? Könnte das Nachteile mit sich bringen? Hilft Grübeln mir mich anders zu erleben, z.B. sorgfältiger?)
Aufmerksamkeitstraining (Attention Training Technique)
Viele vom Grübeln Betroffene geben an, dass sie wenig Kontrolle darüber haben, womit sie sich gedanklich beschäftigen; die Aufmerksamkeit richtet sich immer wieder auf das Grübelthema. Bei einer im Rahmen der Metakognitiven Therapie eingesetzten zehn- bis fünfzehnminütigen Aufmerksamkeitsübung werden beispielsweise verschiedene Geräusche genutzt, um die Aufmerksamkeit bewusst lenken zu lernen. Einzelne Komponenten des Trainings sind selektive Aufmerksamkeit, schneller Aufmerksamkeitwechsel und geteilte Aufmerksamkeit.
Überzeugungen und Gedanken über das Grübeln prüfen und Modifizieren
Überzeugungen über das Grübeln wie "Grübeln ist unkontrollierbar" können gezielt und systematisch in Frage gestellt werden. Eine derartige Überzeugung führt möglicherweise dazu, dass keinerlei oder ungünstige Strategien genutzt werden, um das Grübeln zu reduzieren. Wird die Überzeugung gelockert, besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass ein hilfreicher Umgang mit Grübelauslösern (wie die Aufmerksamkeit zu lenken) umgesetzt werden kann.
Losgelöste Achtsamkeit (Detached Mindfulness)
Losgelöste Achtsamkeit bedeutet, sich innerer Ereignisse (z.B. Gedanken, Bilder, Gefühle) bewusst zu sein (mindfulness), ohne sich aktiv und analytisch mit ihnen auseinanderzusetzen (detachment). Durch detached mindfulness kann es gelingen, sich von belastenden Gedanken ("Ich bin ein Versager", "Ich bekomme das nie hin") nicht zu Grübelschleifen verleiten zu lassen. Gedanken kann losgelöste Achtsamkeit entgegengebracht werden, ohne automatisch mit Grübeln darauf zu reagieren. Wichtig ist dabei, Gedanken wahrzunehmen, ihnen aber nicht mit einer Diskussion, einem Loswerden-Wollen und insbesondere nicht mit dem Versuch der Unterdrückung zu begegnen. Diese Fähigkeit lässt sich durch geeignete Übungen trainieren. Bei detached mindfulness geht es auch nicht um die Wertung, ob ein Gedanke wahr oder falsch ist, sondern darum, selber entscheiden zu können, ob, wie und wann man sich mit belastenden Themen auseinansdersetzen möchte.
Grübelaufschub
Die losgelöste Achtsamkeit wird meist kombiniert mit der Technik des Grübelaufschubs eingesetzt. Sobald ein Auslöser für Grübeln wahrgenommen wird, wird die losgelöste Achtsamkeit eingesetzt und das Grüben auf einen späteren Zeitpunkt am Tag verschoben. Dafür wird ein festes Grübel-Zeitfenster von 15 Minuten pro Tag festgelegt. In dieser Grübelzeit wird ein Wecker gestellt, um nicht länger zu grübeln. Es besteht aber keine Verpflichtung, in den Grübelzeiten zu grübeln. Wenn gegrübelt wird, werden die Grübelgedanken verschriftlicht. Wichtig ist, dass die losgelöste Achtsamkeit und der Grübelaufschub explizit NICHT bedeuten, dass Gedanken unterdrückt werden. (Im Rahmen der Metakognitiven Therapie wird im Vergleich zu anderen therapeutischen Ansätzen kein Gedankenstopp empfohlen, bei dem der Gedankenfluss mit einem lauten Stopp unterbrochen wird).
Du leidest auch unter Overthinking? Unter Gedankenspiralen, die dich innerlich angespannt und unruhig machen?
Dann sorge mit meiner 3-Schritte-Anleitung wieder für Ruhe im Kopf, Klarheit und Fokus!
Quellen:
Tobias Teismann, Thomas Ehring: Pathologisches Grübeln. Hogrefe Verlag, Göttingen 2019, 105 Seiten.
Faßbinder, Klein, Sipos, Schweiger: Therapie-Tools Depression. Beltz Verlag, Weinheim, Basel 2015, 368 Seiten.
Flett, Gordon & Nepon, Taryn & Hewitt, Paul. (2015). Perfectionism, Worry, and Rumination in Health and Mental Health: A Review and a Conceptual Framework for a Cognitive Theory of Perfectionism. 10.1007/978-3-319-18582-8_6.
Schau' auch in meine Artikel über Selbstmitgefühl und People Pleasing.