Individualität und Gemeinschaftssinn
Individuen und soziale Wesen: Wir Menschen sind bekanntlich beides. Die Qualitäten "Individualität" und "Bindung" sind Voraussetzungen für ein erfülltes Leben. Wie entwickeln wir sie so, dass sie ausgewogen bleiben und sich gegenseitig fördern? Eine Möglichkeit, Zufriedenheit mit sich und dem Miteinander herzustellen, ist der Ausgangspunkt einer achtsamen Selbstfürsorge, anders ausgedrückt: Eine Beziehung mit sich selbst zu kultivieren, die von Wohlwollen, Akzeptanz und Unterstützung geprägt ist (und somit Eigenschaften einer Freundschaft besitzt). Wer eine derartige Selbstbeziehung pflegt, wird seine inneren Verhältnisse ordnen und damit Qualitäten entwickeln, die sich auch auf Beziehungen im Äußeren übertragen lassen. Wer mit sich selbst wohlwollend und wertschätzend umgeht, kann dies auch mit seinem Gegenüber. Zudem ist er weniger von der emotionalen Bestätigung anderer abhängig, setzt gesunde Grenzen, tritt authentischer auf und kann echte Nähe besser zulassen. Das Konzept der Selbstfürsorge mag wie etwas ganz Selbstverständliches klingen, ist es jedoch oftmals nicht. "Mit sich selbst im Reinen sein" und bleiben als Voraussetzung erfüllender Beziehungen - das ist eher ein erstrebenswertes, lohnendes, dabei auch immer wieder forderndes Ziel.
Ein gesundes Maß an Selbstfürsorge
In der Selbstbeziehung gilt es ein passendes Maß zu finden und zu wahren. Einerseits wird mit dem Aufbau achtsamer Selbstfürsorge vermieden, sich selbst zu verlieren - beispielsweise in übermäßiger Anpassung an Normen und äußere Vorgaben. Andererseits verhindert ein übermäßiges Kreisen um sich selbst, das in Selbstsucht münden kann, das eigene Wohlbefinden und die psychische Gesundheit. Zur Kunst der Selbstfürsorge gehört immer auch die Integration einer bewussten Gestaltung sozialer Bindungen. Für langfristig erfüllende Beziehungen ist wiederum ein gesundes Maß an Selbstfürsorge erforderlich.
Wie unterscheidet sich eine freundschaftliche Beziehung zu sich selbst von Eitelkeit oder gar Narzissmus? Erstens ist das Selbstbild bei einer gesunden Selbstfürsorge von Akzeptanz geprägt, beim narzisstischen Selbstbild jedoch von Überhöhung. Zweitens dient eine gesunde Selbstfürsorge nicht ausschließlich dem Selbstzweck, sondern ermöglicht sich anderen zuzuwenden, nutzt Ressourcen um Bindungen zu stärken.
Selbsterkenntnis und Selbstakzeptanz als Basis einer freundschaftlichen Selbstbeziehung
Die Grundlage einer freundschaftlichen Selbstbeziehung bildet die Selbstakzeptanz, die auf einem Prozess der Selbsterkenntnis beruht. Ein hilfreicher Ausgangspunkt für Selbsterkenntnis und -akzeptanz ist die Praxis der Achtsamkeit. Achtsamkeit kann auf eigene Gedanken(-muster), Emotionen, Stimmungen, Körperempfindungen und auch auf äußere Eindrücke und Situationen bezogen sein. Sie kann in formalen Übungen und im Alltagsgeschehen kultiviert werden und sorgt schon als solche für Beruhigung, Stimmungsstabilisierung und -aufhellung und für weitere positive Wirkungen auf die psychische und physische Gesundheit. Auf der Basis von Achtsamkeit gelingt ein schrittweises Erkennen des Selbst in der Rolle eines nicht-urteilenden Beobachters. Sich selbst mit allen Eigenheiten, Ecken und Kanten, Stärken und Schwächen zunächst einmal bewusst anzunehmen, bildet eine kraftvolle Basis für die Entwicklung einer freundschaftlichen Selbstbeziehung.