In den letzten Jahrzehnten wurden Effekte von Religiosität und Spiritualität auf die Gesundheit umfangreich beforscht. Zusammenfassend zeigen die Studien überwiegend positive Effekte sowohl auf körperliche als auch psychische Gesundheit.
Beide sich überlappendenden Konstrukte (Religiosität und Spiritualität) gehen mit lebensverlängernden Effekten einher. Vor allem sinkt das Risiko an kardiovaskulären Erkrankungen zu versterben. Als mögliche Gründe werden die Wirkungen spiritueller Praktiken wie Meditation und Gebet auf das Herz-Kreislauf-System und ein mit Spiritualität verbundener allgemein gesünderer Lebensstil vermutet (u.a. Verzicht auf Suchtmittel, bewusstere Ernährung).
Insbesondere die Meditation als Königsweg spiritueller Praxis wurde ausgiebig auf ihre gesundheitlichen Effekte untersucht. So sinkt bei regelmäßiger Praxis beispielsweise der Blutdruck. Regelmäßig Meditierende kultivieren innere Ruhe und Entspannung, regulieren Emotionen günstiger, entwickeln einen konstruktiven Umgang mit Stressoren und richten dadurch ihr vegetatives Nervensystem vermehrt auf parasympathische (dämpfende, beruhigende, Herzfrequenz und Blutdruck senkende) Aktivität aus. Ebenfalls erwiesen sind die positiven Effekte regelmäßiger Meditation auf das Immunsystem. Mit regelmäßiger Praxis gehen unter anderem eine geringere Ausschüttung des Stresshormons Cortisol, vermehrte Telomerase-Aktivität (schützt vor Alterungsprozessen) und geringere Ausschüttung von Interleukin-6 (Entzündungsreaktionen vermittelnder Botenstoff) einher. Zudem reduziert Meditation das Schmerzempfinden; die heute weltweit anerkannte Achtsamkeitsmeditation nach Jon Kabat-Zinn verbreitete sich anfangs durch Erfolge mit chronischen Schmerzpatienten.
Spiritualität kann Depression und Angst mindern
Hinsichtlich depressiver Erkrankungen geht aus der deutlich überwiegenden Zahl hunderter Studien ein positiver Effekt von Spiritualität hervor. So kann Spiritualität davor schützen, depressive Symptome zu entwickeln und helfen, vorhandene abzumildern. Hinweise bestehen auch darauf, dass Panikattacken und soziale Ängste bei Menschen, die spirituelle Werte als wichtig einstufen, weniger auftreten. Bei Ängsten entfaltet Spiritualität vor allem dann protektive Effekte, wenn das Empfinden von Verbundenheit und Vertrauen gestärkt wird (und nicht Ängste vor Bestrafung oder Schuldgefühle geschürt werden). Insbesondere bei Depressionen kann Selbsttranszendenz, d.h. die Ausrichtung und das Vertrauen auf etwas außerhalb des Selbst, hilfreiche Effekte entfalten. Doch auch typische spirituelle Variablen wie Dankbarkeit, Vergebung, Hoffnung und Ehrfurcht erhöhen psychisches Wohlbefinden und stärken die Resilienz. Weiterhin werden im Rahmen spiritueller Entwicklungen Gelassenheit und Akzeptanz gefördert, die positive Effekte auf die mentale Gesundheit entfalten.
Achtsamkeitsmeditation als weit verbeitete spirituelle Praxis fördert angenehme Emotionen und Optimismus, erhöht Lebenszufriedenheit sowie Selbstwert. Neben einer Reduktion psychischer und somatischer Symptome (u.a. depressive, Angstsymptome, Anspannungszustände, Schmerzen) geht sie mit Stressbewältigung und proaktivem, (selbst-)fürsorglichem Verhalten einher und fördert kognitive Fähigkeiten (z.B. Konzentration, Wahrnehmung, Emotionsregulation, Kommunikation). Sie moduliert Hirnfunktionen und sogar anatomische Hirnstrukturen (z.B. die Dichte der grauen Substanz im Bereich von Hippocampus und Amygdala).
Achtsamkeit und Psychotherapie
Achtsamkeitsbasierte Verfahren, die ursprünglich auf dem MBSR-Konzept (Mindfulness Based Stress Reduction) von Jon Kabat-Zinn fußen, sind ein mittlerweile weit verbreiteter Bestandteil psychotherapeutischer Konzepte. Dabei ergänzen sich Achtsamkeit und Psychotherapie: Während Therapie darauf zielt, von Symptomen zu befreien und Menschen in die Alltags- und Funktionsfähigkeit zu verhelfen, geht es bei der Achtsamkeitsmeditation primär darum, eine offene, präsente, nicht wertende Grundhaltung gegenüber allem zu kultivieren, was in das Feld der Wahrnehmung tritt: Gedanken, Gefühle/Empfindungen, Sinneswahrnehmungen. Dabei wird der gegenwärtige Moment intensiv wahrgenommen und erlebt. Emotionen und Gedanken werden registriert und akzeptiert, jedoch wird ihnen nicht - wie so oft im Alltagsbewusstsein - die mentale Führung der Aufmerksamkeit überlassen. Besonders wirksam sind achtsamkeitsbasierte therapeutische Konzepte in der Rezidivprophylaxe depressiver Erkrankungen.
Grenzen und Kontraindikationen
Selbstverständlich handelt es sich bei Spiritualität und Meditation nicht um Allheilmittel. Bei der Meditation sind durchaus Kontraindikationen bekannt (u.a. bestimmte psychische Erkrankungen wie Psychosen, psychische Ausnahmezustände). Spirituelle Praktiken können eine inhaltliche Auseinandersetzung und Bewältigung schwerwiegender Probleme nicht ersetzen. Das Bestreben eines jederzeit heiteren, gelassenen emotionalen Zustandes kann mit einer ungesunden Vermeidung unangenehmer Emotionen einhergehen. Spritualität vor allem als Erleben besonderer ekstatischer Zustände zu verstehen, ohne eine Integration in den ganz gewöhnlichen Lebensalltag zu vollziehen, geht an der eigentlichen Bedeutung vorbei. Anstatt möglichst viele außersinnliche Erfahrungen anzustreben, geht es darum persönlich zu reifen (mit einer durchaus über das Alltagbewusstsein hinausgehenden Bewusstheit) und mit den Anforderungen des täglichen Lebens verantwortungsvoll umzugehen.
Literaturempfehlung: Anton A. Bucher, Psychologie der Spiritualität (272 Seiten, Beltz Verlag). Prof. Bucher, Universitätsprofessor für Religionspädagogik an der Universität Salzburg, führt eine Vielzahl empirischer Befunde an, um Begrifflichkeit, Entwicklung und Effekte von Spiritualität und Spiritualität in Pflege und Psychotherapie fundiert zu beleuchten.
Zu Definitionen des Begriffes "Spiritualität" schau' auch in diesen Blogartikel. Eine Kurzanleitung für eine Achtsamkeitsmeditation findest du hier.