Widerstand: Definition und Funktion
Mit Widerstand sind im Rahmen der persönlichen Entwicklung verschiedene unbewusste Vorgänge gemeint, die einer Veränderung - die beispielsweise im Rahmen einer Psychotherapie, einer Beratung oder eines Coachings angestrebt wird - entgegengesetzt werden. Relevant ist das Phänomen des Widerstandes, wenn es um die Bewusstmachung unbewusster Dynamiken geht. Widerstand kann sich gegen diese aufdeckende Arbeit, gegen die Bemühungen der Therapeutin, des Beraters oder Coaches oder gegen die Arbeitsbeziehung richten.
Dabei ist es keinesfalls so, dass es sich beim Widerstand um Rebellion, Querulantentum oder Aufsässigkeit handelt. Widerstand ist ein unbewusster Vorgang, der dadurch motiviert ist, etwas Vertrautes, Altes zu verteidigen. Denn vetraute Muster des Denkens, Fühlens und Handelns, so ungünstig sie manchmal sein mögen, haben immer auch eine stabilisierende, (vermeintlich) Sicherheit gebende Funktion. Beschwerden oder Symptome stellen in gewisser Weise das Gleichgewicht eines Status Quo her. Wenn Veränderung "droht", so sinnvoll sie rational betrachtet erscheinen mag, kann sie ambivalente Gefühle oder auch eine Zurückweisung erzeugen. Widerstand dient immer auch dazu, unangenehme Gefühle, wie Schuldgefühle, Angst oder Scham, die mit einer Bewusstwerdung und damit möglicher Veränderung einhergehen, zu vermeiden. Oft sind Beschwerden oder Symptome subjektiv vermeintlich besser zu ertragen. Freud bezeichnete das Phänomen des Widerstandes unter anderem als "Kraft, welche den krankhaften Zustand aufrechterhielt".
Die Überwindung von Widerständen ist demnach eine wesentliche - wenn nicht DIE wesentliche - Leistung in psychologischen Beratungen und therapeutischen Prozessen, die tiefenpsychologisch oder psychoanalytisch ausgerichtet sind.
Welche Formen von Widerstand häufig beobachtet werden können
Übertragungswiderstand
Gefühle, Beziehungswünsche und Rollenerwartungen, die in der frühen kindlichen Entwicklung auf Bezugspersonen (wie Eltern und Geschwister) bezogen waren, werden in späteren Lebensphasen unbewusst auf neue soziale Beziehungen übertragen. In Beratung und Therapie erfolgt diese Übertragung auf die Therapeutin, den Berater oder Coach. Wenn die Übertragung besonders intensiv ist - ob im positiven oder negativen Sinne (idealisierend oder entwertend) - kann sie als Widerstand gegen den Fortschritt der Behandlung / Beratung wirken. Ein Übertragungsphänomen, das häufig als Widerstand wirkt, ist das Agieren. Dabei werden Informationen von Klienten nicht verbal, sondern handelnd mitgeteilt (z.B. in Form eines Behandlungsabbruchs oder eines Wutanfalls).
Verdrängung als Widerstand
Verdrängung bewirkt das unbewusste Fernhalten von Unerträglichem, Bedrohlichem, Störendem im inneren Erleben von der bewussten Wahrnehmung. Erinnerungen bzw. Inhalte werden aktiv aus dem Bewussten ferngehalten. Damit kann die Verdrängung ein Hindernis für das Aufdecken relevanter unbewusster Inhalte und damit ein Hindernis für Fortschritte in Behandlung und Beratung darstellen.
Sekundärer Krankheitsgewinn
Wenn mit einer Erkrankung, Symptombildung oder mit Beschwerden "Vorteile" wie beispielsweise ein Zugewinn an Aufmerksamkeit und Zuwendung verbunden sind, können diese einer heilsamen Veränderung entgegenstehen.
Über-Ich- und Es-Widerstände
Wenn bestimmte Gedanken oder Impulse im Rahmen einer Behandlung / Beratung mit Schuldgefühlen einhergehen, werden diese Inhalte möglicherweise verdrängt und wirken so als Widerstand. Schuldgefühlen liegt eine Spannung zwischen Ich und Über-Ich zugrunde (das Über-Ich steht für die innere moralische Instanz: Regeln, Gebote und Verbote, die wir uns selbst auferlegen). Als Es-Widerstand werden innere Strebungen ("Triebregungen") bezeichnet, die sich gegen therapeutisch angestrebte Veränderungen richten und die laut Freud ein "Durcharbeiten" erfordern.
Wie Widerstand sich äußern kann
Exemplarisch kann im Rahmen einer laufenden Beratung oder Psychotherapie Folgendes in Erscheinung treten:
Von der Beobachtung dieser Phänomene kann per se selbstverständlich nicht auf Widerstände geschlossen werden. Um einen Widerstand hinter den beispielhaft genannten Aspekten zu identifizieren, ist eine Kontextualisierung erforderlich, d.h. es gilt, einen Zusammenhang zum Prozess bzw. zur Arbeitsbeziehung herzustellen.
Umgang mit Widerstand
Fehlende Fortschritte in Behandlung oder Beratung ausschließlich mit einem persistierenden Widerstand der Klientin / des Klienten zu rechtfertigen und in derselben Weise weiterzuarbeiten, ist nicht sinnvoll. Möglicherweise kann Widerstand ein Hinweis dafür sein, dass in der Zusammenarbeit eine Überforderungssituation eingetreten ist, d.h. dass Deutungsversuche zu früh oder zu offensiv eingebracht worden sind.
Widerstand nicht nur als solchen zu erkennen, sondern in einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung mittels empathischer Begleitung einen Rahmen zu schaffen, der der Klientin / dem Klienten eine schrittweise, praktikable Annäherung an relevante unbewusste Prozesse ermöglicht, stellt durchaus eine Kunst dar. Ein gekonnter Umgang mit Widerstandsphänomenen kann in erheblichem Maße zum Erfolg einer psychologischen Beratung oder Psychotherapie beitragen.
Literaturempfehlung: Timo Storck, Abwehr und Widerstand (aus der Buchreihe "Grundelemente psychodynamischen Denkens: Konzeptuelle Kritik, klinische Praxis, wissenschaftlicher Transfer" mit 8 Bänden), Kohlhammer Verlag, 2021.
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